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Aviäre Influenza: Herausforderungen auf dem Weg zur Impfung Dr. Christine Ahlers 

Die hochpathogene Aviäre Influenza (HPAI), auch als Vogelgrippe oder Geflügelpest bekannt, hat in den letzten Jahren weltweit in vielen Ländern enorme Schäden verursacht. Deutschland und Europa erleben aktuell die bisher schwerste Geflügelpest-Epizootie. Seit Mitte Oktober 2021 wurden Hunderte von HPAIV-infizierten Wildvögeln und zahlreiche Ausbrüche bei Geflügel und gehaltenen Vögeln in allen Bundesländern gemeldet.
Diese hochansteckende Erkrankung wird durch sehr virulente (hochpathogene) aviäre Influenzazviren (HPAIV) verursacht. Viele Vogelarten sind für diesen Erreger empfänglich. Auch bei verschiedenen Säugetierarten (Füchse, Seehunde, Kegelrobben, Fischotter, Nerze) wurde HPAIV in Einzelfällen nachgewiesen. Insbesondere bei Puten und Hühnern, im aktuellen Seuchenzug aber auch bei Gänsen und Enten, führt die Infektion mit HPAIV zu schweren Erkrankungen mit hohen Verlustraten. Für Menschen ist eine Ansteckung bei intensivem Kontakt mit infiziertem Geflügel ebenfalls nicht auszuschließen und in anderen Ländern in Einzelfällen vorgekommen.

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Zum Erhalt gesunder Rassegeflügelbestände mit Schutz gegen die Aviäre Influenza kann die Impfung zukünftig ein wichtiges Instrument der Bekämpfung darstellen – für eine praktische Umsetzung gibt es aber noch Hürden, die aktuell noch keinen standardmäßigen Einsatz ermöglichen.

Weltweit wird die Vogelgrippe deshalb als wichtige zu bekämpfende Tierseuche eingestuft. Innerhalb der EU ist die Strategie zur Prävention und Bekämpfung im Tiergesundheitsrechtsakt[1] und der nachgeordneten Rechtssetzung für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben. Auch eine mögliche Impfung gegen HPAI muss dem europäischen Recht entsprechen. Die dafür erforderliche Rechtsgrundlage (delegierte Verordnung (EU) 2023/361) mit Details u.a. auch zur Impfung gegen die Geflügelpest wurde erst kürzlich, am 20.02.2023, veröffentlicht und tritt Mitte März, 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung, in Kraft.
Dies ist ein wichtiger Schritt, der es nun ermöglicht, die Geflügelpest auch mit Hilfe der Impfung als zusätzlichem Werkzeug zu bekämpfen. Im Gegensatz zur Impfung gegen die Newcastle Krankheit, die in Deutschland rechtlich vorgeschrieben und Voraussetzung für innergemeinschaftlichen Handel ist, darf jedoch gegen die Geflügelpest nur geimpft werden, wenn dies notwendig ist, um deren Ausbreitung zu verhindern und zu bekämpfen. Um sicherzustellen, dass die Impfung als wirksames Instrument in der Seuchenprävention und -bekämpfung eingesetzt wird und um zu verhindern, dass sich in geimpften Betrieben und Regionen die Tierseuche unerkannt ausbreitet, dürfen Impfungen gegen Geflügelpest und ähnliche Tierseuchen nur unter behördlicher Aufsicht und strengen Auflagen durchgeführt werden. 
Ob in einer Region oder bestimmten Betrieben gegen HPAI geimpft wird, entscheidet die zuständige Behörde in jedem Mitgliedstaat der EU, d.h. das jeweils zuständige Ministerium. Der neuen Rechtssetzung zufolge muss dazu im ersten Schritt eine Risikobewertung durchgeführt werden, auf deren Grundlage dann eine Impfstrategie durch die zuständige Behörde erarbeitet wird. In der Impfstrategie muss festgelegt werden, in welchem Gebiet geimpft wird („Impfzone“), in welchem Gebiet um die Impfzone herum das Auftreten der Geflügelpest verstärkt überwacht werden muss („Impfzonen-Peripherie“), welche Tiere oder Tierarten geimpft werden und welche Impfstoffart eingesetzt wird.
Die neue Verordnung unterscheidet dabei prinzipiell zwischen drei unterschiedlichen Impfstrategien: „Notsuppressivimpfungen“ können in HPAI positiven Beständen angeordnet werden, wenn eine zeitnahe Tötung der Tiere nicht möglich ist. Die Notsuppressivimpfung hat jedoch nur eine aufschiebende Wirkung, getötet werden muss ein HPAI positiver Bestand dennoch schnellstmöglich.
„Notschutzimpfungen“ können in Zeiten und Regionen angeordnet werden, in denen die Infektionsgefahr erhöht ist. Sie können theoretisch auch Wildvögel betreffen („Notimpfungen bei wild lebenden Tieren“).

Impfungen, die nicht als Reaktion auf einen Ausbruch oder ein erhöhtes Seuchenrisiko angeordnet, sondern „standardmäßig“ ohne erhöhtes Infektionsrisiko durchgeführt werden, werden als „Präventivimpfungen“ bezeichnet. Sie sind, wie auch die Notschutzimpfung, mit zahlreichen Auflagen verbunden und dürfen nur unter Aufsicht eines amtlichen Tierarztes durchgeführt werden. Der Einsatz von Lebendimpfstoffen ist eindeutig verboten, so dass eine Massenapplikation (z.B. über das Tränkwasser) nicht möglich ist.

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AI-Lebendimpfstoffe zur Anwendung über Tränkwasser sind verboten, weshalb die Verabreichung des Impfstoffes per Injektion („Nadelimpfung“) erfolgen wird .


Um in geimpften Beständen und Regionen die unerkannte Ausbreitung der Geflügelpest zu verhindern, ist eine engmaschige Überwachung vorgesehen. Bis 28 Tage nach Abschluss der Notschutzimpfung müssen in geimpften Betrieben in zweiwöchigem Abstand virologische Untersuchungen durchgeführt werden, um einen möglichen Eintrag von HPAI-Feldvirus zu erkennen. Nach einer Präventivimpfung gelten noch strengere

Anforderungen, solange geimpfte Tiere gehalten werden. Dazu gehören wöchentliche virologische Untersuchungen verendeter Tiere und monatliche Besuche durch den amtlichen Tierarzt, den den Bestand klinisch untersucht und Proben für weiterführende Laboruntersuchungen entnimmt. Die monatlichen Laboruntersuchungen entfallen nur in Beständen, die als „geschlossener Betrieb“ beim zuständigen Veterinäramt registriert sind[2]. Darüber hinaus gelten in der Impfzone und der Impfzonen-Peripherie Verbringungsverbote für geimpfte Tiere und tierische Erzeugnisse geimpfter Tiere, die denen der Schutzzone nach einem Geflügelpest-Ausbruch annähernd entsprechen. Damit ist folglich für geimpfte Tiere auch die Teilnahme an Ausstellungen verboten, aber dies müsste im konkreten Fall mit der zuständigen Behörde rechtssicher geklärt werden.
Die Gründe für diese komplexen Anforderungen, die vor einer Impfung gegen die Geflügelpest zu erfüllen sind, liegen u.a. auch in den Eigenschaften des Erregers: Im Gegensatz zum sehr stabilen Erreger der Newcastle Krankheit gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Subtypen aviärer Influenzaviren, die sich durch Mutationen (Veränderungen des Erbguts) jederzeit ändern können. Erfahrungen in Indonesien haben gezeigt, dass ein Impfstoff gegen HPAI laufend angepasst werden muss, um einen Impfschutz zu erreichen. Impfschutz bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur, das geimpfte Tier vor einer klinischen Erkrankung zu schützen, sondern insbesondere auch die Vermehrung des Erregers (Feldvirus) in geimpften Tieren und in der Folge eine unerkannte (weil nicht mit klinischer Erkrankung verbundene) Ausbreitung der Geflügelpestviren zu verhindern. Auch in den Ländern, in denen gegen HPAI geimpft wird, ist dies bislang nicht gelungen.
Ein intensives, engmaschiges Monitoring, um in der Impfzone und deren näherer Umgebung, der Impfzonen-Peripherie, zirkulierendes Feldvirus zu entdecken, ist deshalb wichtiger Bestandteil jeder Impfstrategie gegen HPAI. Um in diesem Fall geimpfte von ungeimpften Tieren (bzw. Impfvirus von Feldvirus) unterscheiden zu können, müssen Markerimpfstoffe eingesetzt werden, auch bekannt als DIVA-Impfstoffe (differentiating infected from vaccinated animals).
Falls in einem geimpften, klinisch gesunden Tierbestand HPAI-Feldviren nachgewiesen werden, ist nach der aktuellen Rechtslage auch für diese Tiere die Tötung rechtlich vorgeschrieben, Ausnahmen sind nur für bestimmte Tiere (z.B. solche, die in einem geschlossenen Betrieb oder zum Erhalt geschützter oder gefährdeter Arten gehalten werden, die im Vorfeld als seltene Rassen amtlich registriert wurden oder einen hohen genetischen Wert haben) vorgesehen[3].

Ungeklärt ist zum aktuellen Zeitpunkt auch, unter welchen Bedingungen ein freier Handel mit ungeimpftem Geflügel und deren Produkten aus Impfzonen international akzeptiert werden wird. Sollte eine Impfung gegen HPAI zu Handelsbeschränkungen führen, würde die Kosten-Nutzen-Analyse aus Sicht der Geflügelwirtschaft gegen eine Impfung sprechen und in der Folge die kostenintensive Zulassung von Impfstoffen für die Pharmaindustrie nicht attraktiv sein. So wird z.B. aktuell in den USA ein zugelassener Impfstoff gegen H5 nicht eingesetzt, weil international nur sehr wenige Staaten den Import von Geflügel und dessen Produkten aus geimpften Regionen zulassen.
Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen, einer genehmigten Impfstrategie und einer gesicherten Durchführung der Überwachung ist die Verfügbarkeit einer wirksamen Vakzine wichtige Voraussetzung für eine Schutzimpfung unserer Geflügelbestände. In Deutschland ist seit 2006 ein Impfstoff gegen H5N2 zugelassen, seine Wirksamkeit gegen die aktuell zirkulierenden Virusvarianten wird jedoch angezweifelt. Innerhalb der EU arbeiten aktuell verschiedene Einrichtungen mit Hochdruck an der Entwicklung unterschiedlicher Impfstoffe gegen HPAI zum Einsatz bei Enten (Frankreich), Puten (Italien), Hühnern (Niederlande) und Gänsen (Ungarn, Tschechische Republik).
Unter den gegenwärtigen Bedingungen, bei ganzjährigem Vorkommen von HPAIV in der Wildvogelpopulation insbesondere in den küstennahen Regionen und mit zahlreichen Ausbrüchen bei gehaltenen Vögeln, erreicht das derzeitige Konzept der Tierseuchenbekämpfung seine Grenzen. Hohe seuchenbedingte Tierverluste, die Vernichtung großer Mengen tierischer Lebensmittel und der Verlust wertvoller genetischer Ressourcen sind auf Dauer nicht akzeptabel. Eine Erweiterung der Tierseuchenbekämpfung um die Impfung als zusätzliches wichtiges Werkzeug ist deshalb trotz der hier genannten Schwierigkeiten unabdingbar.
Es ist daher sehr zu begrüßen, dass nun die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Impfungen zur Bekämpfung der Geflügelpest geschaffen wurden. Im nächsten Schritt müssen zunächst eine Risikobewertung und darauf basierend eine Impfstrategie ausgearbeitet werden, in der festgelegt wird, welche Tiere in welcher Region für welchen Zeitraum mit welchem Impfstoff nach welchem Impfregime geimpft werden sollen. Parallel dazu müssen „passende“ Impfstoffe entwickelt, geprüft und zugelassen werden. Die Durchführung von Impfung und Überwachung unterliegen dann der Verantwortung der zuständigen Behörde. Ob bzw. welche Handelsrestriktionen für geimpfte Tiere oder Tiere aus geimpften Regionen gelten werden und auch mögliche Beschränkungen in der Verbringung dieser Tiere werden sich an den rechtlichen Bestimmungen und den Festlegungen in der Impfstrategie orientieren.

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Eine Impfung gegen AI kann Maßnahmen zur Biosicherheit nicht ersetzen, wie z.B. Schuhwechsel vor Betreten des Bestandes und Verzicht auf Tierkäufe in Phasen eines hohen Einschleppungsrisikos.
Den internationalen Erfahrungen zufolge kann eine Impfstrategie zur Bekämpfung der hochpathogenen Aviären Influenza aber nur in Kombination mit einem hohen Biosicherheitsstatus und einem intensiven Monitoring, um Infektionen frühzeitig zu erkennen und die Virusausbreitung so effektiv wie möglich zu verhindern, erfolgreich sein. Politik und Experten sind sich deshalb einig, dass eine Impfung die bisherige Bekämpfungsstrategie nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann: Infizierte Bestände werden nach geltendem Recht auch weiterhin getötet werden, unabhängig davon, ob die Tiere klinisch erkrankt oder „nur“ Virusträger sind (mögl. Ausnahmen s. Art 13 Abs. 2 VO (EU) 2020/867). Und die konsequente Einhaltung umfassender Biosicherheitsmaßnahmen, um den Erregereintrag in einen Geflügelbestand und dessen Verbreitung zu verhindern, ist und bleibt das Fundament der Geflügelpestbekämpfung.
Nichts desto trotz ist zu hoffen, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung der Impfung in absehbarer Zeit geschaffen werden, um mit diesem wertvollen Instrument zur Bekämpfung der Geflügelpest beitragen zu können. 


Dr. Christine Ahlers
Fachtierärztin für Geflügel, Geflügelgesundheitsdienst der Thüringer Tierseuchenkasse
Fotos im Artikel: Verfasser

[1] Verordnung (EU) 2016/429 des Europäischen Parlaments und des Tates vom 09. März 2016 zu Tierseuchen und zur Änderung und Aufhebung einiger Rechtsakte im Bereich der Tiergesundheit
[2] s. Art. 95 VO (EU) 2016/429
[3] Art. 13 Abs. 2 der VO (EU) 2020/867

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